suchen

Wähle deinen Bezirk aus

7. Mai 2020

#Krisenmodus Phase 1: Lockdown

Ich schieß´ los mit einer Info: Der folgende Beitrag fußt auf zwei zentralen Begriffen, die im wissenschaftlichen Diskurs über Offene Jugendarbeit omnipräsent sind und unser Arbeitsfeld meiner Meinung nach grundlegend charakterisieren. Keine Angst, es wird nicht zu theoretisch. Ich streue Pfeffer und Fotos in die Theorie!

Content Bild

Kapitel 1: Jugendarbeit als Seismograph

Wirft man einen Blick in die Standardwerke Offener Jugendarbeit, bedient man sich dort immer wieder der Analogie des Seismographen. Um das in aller Kürze zu präzisieren: Gemeint ist damit, dass Jugendarbeit ähnlich wie ein Seismograph, der auf Bodenerschütterungen von Erdbeben und seismischen Wellen reagiert, flexibel und zeitnah auf Veränderungen in den Lebenswelten Jugendlicher reagieren kann.

Jetzt kommt da unerwartet eine Pandemie angerollt – über die wir, wäre sie in den Plot einer Black-Mirror-Folge auf Netflix gepackt, vor einigen Monaten noch gesagt hätten:
„Das ist ja total unrealistisch!“ – und erschüttert die Gesellschaft in ihren Grundfesten.
Sollte das ein_e Wahrsager_in vorhergesagt haben: Ich will wissen wie meine Zukunft aussieht!

Nun ist das vermeintlich Unrealistische zur medial oftmals kolportierten „neuen Normalität“ avanciert und verändert nicht zuletzt unsere Arbeitspraxis anhaltend.

Content Bild

Der Seismograph des Verein Wiener Jugendzentren hat heftige Wellenbewegungen wahrgenommen und gemeldet: „Leute, da gibt’s ein Erdbeben! Wir müssen reagieren!“.
Und wie wir reagiert haben! Ich will jetzt keine Lobgesänge anstimmen, zumal Singen nicht so meine Stärke ist, aber einen kleinen Applaus haben wir uns auf jeden Fall verdient. Binnen kurzer Zeit haben wir unsere Arbeitspraxis in den Krisenmodus umgestellt und entsprechend an die veränderte Situation angepasst. Natürlich gab es da oder dort Anpassungsschwierigkeiten, so manch eine_r musste neue Anglizismen („Soll ich´s in den Feed oder in die Story posten? Auf Snap oder Insta?“) in den eigenen Wortschatz integrieren und sich auf bislang unbekanntem Terrain bewegen („Ich dachte Hauspartys sind derzeit verboten!?“). Doch nach einigen Video-Konferenzen, die Strukturierungs- und Planungsprozesse in Gang setzten, waren die meisten von uns parallel zum in Kraft treten der Restriktionen auf verschiedensten Social-Media-Plattformen bereits in Kontakt mit unseren Zielgruppen.

Content Bild

Eine differenzierte Beschreibung der Aktivitäten & Angebote in Zeiten der Krise würde den Rahmen sprengen – von Übersetzungs- und Aufklärungsarbeit im Kontext der Krise und den damit verbundenen Restriktionen hin zu Krisengesprächen, Tipps für den Umgang mit der Situation, Online-Lernbegleitung, Unterhaltungen via Video-Chats, Postings & Co (...)  konnten wir im Rahmen der Online-Jugendarbeit bislang unzählige Felder abdecken. Sieht man sich die Follower_innen-Zahlen der einzelnen Einrichtungen auf Instagram an (Anm.: das ist nur eine von vielen Plattformen auf denen wir präsent sind) und rechnet diese Zahlen auf alle Einrichtungen des Vereins Wiener Jugendzentren (VJZ) hoch, so zählen wir tausende junge Menschen zu unseren Follower_innen. Dadurch konnten wir in der Phase des mittlerweile im allgemeinen Sprachgebrauch verankerten „Lockdowns“ weiterhin für zahlreiche Besucher_innen da sein. Gepaart mit den Prinzipien Offener Jugendarbeit, wie Lebenswelt- und Sozialraumorientierung, Offenheit, Niedrigschwelligkeit, Freiwilligkeit und nicht zuletzt der professionellen Beziehungsarbeit, um nur ein paar davon zu nennen, ist es uns schnell gelungen, ein funktionierendes Äquivalent zu unserer Offline-Arbeit in den digitalen Raum zu transferieren.

 



Zugegeben, unsere jahrelange Vorerfahrung im Bereich der Handlungsfelder der Online- und Digitalen Jugendarbeit hat uns einen passablen Vorsprung verschafft, der uns diese Krise aus Sicht der Offenen Jugendarbeit bislang gut bewältigen hat lassen. Die Analogie des Seismographen hat sich einmal mehr bewährt - nicht zuletzt weil wir vorbereitet waren. Lasst uns das feiern!

Content Bild

Kapitel 2: Jugendarbeit als Experimentierraum

Offene Jugendarbeit wird in der Fachliteratur zudem oft als ein Ort des Probierens und Experimentierens – vordergründig für Jugendliche – beschrieben. Momentan trifft dieses Probieren und Experimentieren gleichermaßen auf uns Jugendarbeiter_innen zu. Um an den kleinen Applaus aus dem ersten Kapitel anzuknüpfen: Und wie wir probiert und experimentiert haben! Mit Plan, mit Köpfchen und gebündelten Kräften.

Content Bild

In Zeiten der Krise – und ich denke das darf man durchaus mit ein bisschen Stolz sagen –  haben viele von uns ihre Skills und ihr Knowhow im digitalen Bereich weiter ausgebaut und sind offen, aber immer die Professionalität wahrend, auf neue Ideen zugegangen. Daraus gingen bereits unzählige tolle Online-Aktionen auf diversen Social-Media- & Messenger-Plattformen hervor: Discord etablierte sich intern als zentrale Vernetzungsplattform, über die weiterführend einrichtungsübergreifende Projekte wie #fragnach, #soundvonzaus oder die girlsrunchallenge #ichlauftrotzdem ins Leben gerufen wurden. Virtuelle Discord-Jugendzentren wurden aufgesetzt, Apps & Plattformen neu- und wiederentdeckt und selbst jene Kolleg_innen, deren Schwerpunkt zuvor nicht im Bereich der Online-Jugendarbeit lag, sind meist mit Offenheit an diese neue Herausforderung herangetreten. Immer wieder werde ich von Freund_innen gefragt wie sich unser neuer Arbeitsalltag als Jugendarbeiter_innen derzeit eigentlich gestaltet. In Zukunft: Klatscht ihnen diesen Beitrag hin und entgegnet: „Zuviel, um es in einem Satz zu beantworten!“.  

Content Bild

Getragen vom Engagement der Kolleg_innen und der professionellen Abwicklung seitens der zentralen Führungskräfte haben wir uns in dieser, einem Science-Fiction-Film anmutenden, Krise eine Nominierung für den Oscar in der Kategorie „Beste Regie“ verdient. Oder wie einige unserer Kids sagen würden: Stabil, Brate!

Content Bild

Martin Himmelfreundpoitner, Jugendzentrum Alt Erlaa

Weitere Beiträge

{Name}

{Content}