Eine auffällig überforderte Gesellschaft?
In Drasenhofen gibt es eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – 14 Jugendliche, die auffällig geworden sind, werden dort isoliert. Man möchte die Jugendlichen auch vor der niederösterreichischen Bevölkerung "schützen", sie sollen an einem sicheren Ort an der Grenze zu Tschechien verweilen, eine Stunde am Tag können sie die Unterkunft verlassen, in Begleitung, damit nichts passiert.
Doch was heißt es, wenn Jugendliche Auffälligkeiten zeigen? Wie können wir als Gesellschaft mit Jugendlichen, die durch abweichendes Verhalten auffallen, umgehen?
Vielleicht sind es Jugendliche, die nur keine andere Form der Aufmerksamkeit und Anerkennung finden. Vielleicht sind es auch Jugendliche, die gefährdet sind, auf die schiefe Bahn zu geraten. Womöglich haben sie Schlimmes erlebt und brauchen intensivere fachliche Betreuung. Vielleicht leiden sie unter psychischen Problemen. Wir wissen es nicht genau. Was diese Jugendlichen jedenfalls nicht brauchen, sind Securities, ein Stacheldrahtzaun und einen Wachhund namens Happy. Und auch nicht eine Stunde Ausgang am Tag und ein Kartenspiel für den Rest der Zeit.
Sie brauchen erwachsene Ansprechpersonen, die sie ernst nehmen, die versuchen ihre Lebensgeschichte zu verstehen. Erwachsene, die zu ihnen eine Beziehung aufbauen und sie gleichzeitig fordern, sich kritisch mit sich selbst auseinander zu setzen. Sie brauchen Bezugspersonen, die mit ihnen etwas Sinnvolles unternehmen, mit denen sie der Langeweile entkommen, bei denen sie das Gefühl von Gemeinschaft verspüren. Sie brauchen Vertrauenspersonen, die sie nicht fallen lassen, sondern ihnen klare Grenzen aufzeigen und mit ihnen weiterarbeiten. Sie brauchen Gelegenheiten, bei denen sie Selbstwirksamkeit und Anerkennung erfahren.
Leidensphase Jugend
Die Lebensphase Jugend konfrontiert junge Menschen mit einer Vielzahl von Veränderungen, Übergängen und Entwicklungsaufgaben. Sie ist geprägt von physischen und emotionalen Wendungen, auch Leidensdruck, von gesellschaftlichen Erwartungen und der Suche nach individuellen Zielen und Werten. Jugendliche sind in dieser Phase der Identitätsentwicklung auf der Suche nach Orientierung und einem Platz in der Gesellschaft. Sie testen Grenzen aus und überschreiten sie auch manchmal. Mehrere Risikofaktoren wie eine fragile familiäre Situation, materielle Sorgen und Unsicherheiten oder Traumata tragen dazu bei, dass Jugendliche beim Austesten von Grenzen diese manchmal überschreiten oder sogar straffällig werden.
Was heißt es nun, wenn eine Gesellschaft auffällige Jugendliche fallen lässt? Wo stehen wir, wenn wir massive Einschnitte in Freiheit und Selbstbestimmung in Kauf nehmen und, mit Jugendlichen an neuen Perspektiven zu arbeiten, kein Ziel mehr ist? Immerhin sind es Jugendliche, wenn auch schwierige Jugendliche, die sich nicht an vereinbarte Regeln hielten, die teilweise vielleicht sogar Gesetze gebrochen haben, aber zu keinen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Wir müssen gerade diesen Jugendlichen in der schwierigen Phase des Erwachsenwerdens Begleitung und Rückhalt bieten. Dabei müssen wir sie kritisch herausfordern, ohne sie fallen zu lassen. Ihnen geschützte Räume bereitstellen, Jugend ermöglichen. Wenn wir das nicht mehr schaffen, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir als Gesellschaft auffällig überfordert sind.
Ilkim Erdost, Geschäftsführerin