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2. November 2021

Was bisher (nicht) geschah

Genau ein Jahr ist es heute her, dass ein islamistisch motivierter Attentäter vier Menschen tötete, viele andere verletzte und am Ende selbst zu Tode kam.

Die Ermittlungen waren zu Redaktionsschluss noch immer nicht abgeschlossen. Polizei und Verfassungsschutz suchen weiter nach Spuren. Der junge Mann hat in der Tatnacht alleine gehandelt, fraglich ist, wer hat davor etwas von seinen Plänen gewusst, hat ihn jemand in der Vorbereitung aktiv unterstützt? Von den ca. 30 Verhafteten sind 10 noch in U-Haft.

Was spätestens seit dem Vorliegen des Berichts der Untersuchungskommission klar ist: Einige österreichische Behörden, sprich verschiedene Abteilungen des Innenministeriums, haben im Vorfeld des Anschlags einiges über den Attentäter gewusst, aber andere Prioritäten verordnet bekommen (siehe Zwischen- und Endberichte der Untersuchungskommission).

Nahezu alles, was geplant war, hat irgendjemand gewusst, aber niemand hatte alle Teile des Puzzles. Viele Menschen – auch über die Polizei hinausgehend –, die mit dem Mann in Kontakt gewesen waren, hatten nicht in dem Ausmaß miteinander kommuniziert, wie es in einem solchen Fall angebracht gewesen wäre. Es gab keinerlei vereinbarte Strukturen des Informationsaustausches.

Dem Innenministerium war die Aktion „Luxor“ wichtiger gewesen als die Verfolgung echter, heißer Spuren. Lieber wurde medial groß, unter Anwesenheit des Ministers, die Gefahr des „Politischen Islam“ beschworen und derselben mit mehreren hundert Beamten zu Leibe gerückt. Alleine, so wichtig das Augenmerk auf die Muslimbruderschaft bzw. deren Ableger ist, auch diese Razzia liegt nun wie der Anschlag Monate zurück, niemand sitzt in U-Haft, es gibt keine Anklage. Bis auf eine 40 Namen umfassende Liste von Gegnern der Muslimbrüder in Österreich hat man offenbar nichts Nennenswertes gefunden. Teile der Aktion wurden vom Oberlandesgereicht nach Protest für rechtswidrig erklärt.

Die Pandemie, welche Dauerthema Nummer eins ist, hat das Attentat, das von jemandem ohne jeglichen Kontakt zur Muslimbruderschaft-Connection durchgeführt wurde, letztlich medial schnell zugedeckt, viele Fragen sind öffentlich gar nicht gestellt worden.

Unter anderem wurde nicht gefragt, wie es eigentlich den Opfern ergangen ist. Opfer sind nicht nur die vier Getöteten und die Verletzten. Es gibt Angehörige und Freund_innen, die geliebte Menschen verloren haben, es gibt unzählige unmittelbar Beteiligte, die glücklicherweise körperlich unbeschadet geblieben sind, aber trotzdem Narben davongetragen haben.

Anders als in anderen Ländern (beispielsweise in England, nach dem Anschlag in Manchester) hat es lange gedauert, bis es eine Initiative der Bundesbehörden gegeben hat, die Opfer verstärkt zu unterstützen, erst kürzlich wurde ein Opferfonds eingerichtet. Abseits einer Gemeinschaftsklage gegen die Republik durch einen Anwalt haben sich die Opfer nicht organisiert wie in anderen Ländern. Die Europäische Union unterstützt solche Initiativen, aber eine Anfrage der EU-Stellen, sich am „European Day of Remembrance of the Victims of Terrorism“ im März zu beteiligen, kam anscheinend zu überraschend, als dass was daraus geworden wäre.

Eigentlich hätte Österreich eine im europäischen Vergleich ausgefeilte und umfassende „Strategie Extremismusprävention und Deradikalisierung“. Diese wird aber von der Bundesregierung weiterhin gut versteckt und jegliche Umsetzung – außer der Gründung der Beobachtungsstelle Politischer Islam – lässt auf sich warten. Dass einige Expert_innen, auch in Behörden, engagiert sind und auf informeller Ebene Kooperation anstreben, ist sehr gut, aber viel zu wenig und kaum nachhaltig.

Das Gremium, welches im Auftrag des BMI die Österreichische Strategie erstellt hat, namentlich das „Bundesweite Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung" (BNED), ist bunt besetzt, viele Ministerien, Landesbehörden und auch die Zivilgesellschaft sind darin vertreten. Das letzte Mal getagt hat es im Oktober 2020 und die dort gesammelten Ideen für einen Aktionsplan liegen intern zwar seit zwei Jahren vor, umgesetzt wurde aber nur eine, die Beobachtungsstelle „Politischer Islam“.

Alleine die vorgeschlagenen Maßnahmen der verbesserten Vernetzung, einerseits fallbezogen, andererseits generalpräventiv, hätten viel bewirken können und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wären dann die bekannten Puzzlesteine im Fall des Attentäters als Bild auf dem Tisch gelegen – vor dem 2.11.2020.

Die eingeleiteten Umstrukturierungen im BMI, die Auflösung des BVT, dessen Umwandlung in die DSN (Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst) sind keine Folge des Attentats, sondern waren schon davor geplant. Der Zwischenbericht der Untersuchungskommission belegt die dysfunktionale Kommunikation zwischen BVT und den eigenen Landesämtern. Wenn nun polizeiliche Ermittlung und Nachrichtendienst getrennt werden, ergeben sich dadurch neue, veränderte Herausforderungen.

Es würde eine Vielzahl weiterer Maßnahmen, Strukturen und Regeln für Kommunikation zwischen Sicherheitsbehörden, aber auch anderen Dienststellen und zivilgesellschaftlichen Akteuren brauchen. Auch die Pandemie und das daraus resultierende Entstehen neuer Bedrohungsbilder der demokratischen Gesellschaft wären Grund genug, zu handeln. Strukturierte Fallbesprechungen, die über Sicherheitsbehörden hinausgehen, Regeln bezüglich Vertraulichkeit wie es andernorts (Dänemark, Niederlande, …) üblich ist. Primärpräventive Programme, wie „Demokratie leben“ in Deutschland, und vor allem auf regionaler Ebene starke Strukturen. Es gibt vielerorts gute Erfahrungen mit dem „Gemeinsam Sicher“-Programm der Polizei, aber eben noch lange nicht überall. Auch auf regionaler Ebene gibt es in vielen anderen Ländern Stellen, in denen die Fäden zusammenlaufen – und die nicht bei den Sicherheitsbehörden angesiedelt sind. Der ganzheitliche Anspruch der Präventionsstrategie muss sich auch operativ widerspiegeln.

Kürzlich wurde bekannt, dass der „Nationale Aktionsplan“ – welcher die obigen Punkte alle enthält - nun am 7. Dezember veröffentlicht werden wird. Ein erster und sehr wichtiger Schritt, dennoch wird es sich bei den Änderungsvorschlägen nur um Empfehlungen handeln, in welchem Ausmaß es operative Umsetzungen geben wird, bleibt abzuwarten. Und um die Beobachtungsstelle Politischer Islam ist es seit der Gründung im September 2020 ebenfalls still geworden. Abgesehen von fünf recht kompakten Texten über Organisationen (z.B. von Millî Görüş) auf der Webseite wurde nach außen hin nichts bekannt.

Österreich geht offenbar einen anderen Weg als die meisten EU-Länder: Nämlich den, dass unterm Strich kaum was passiert, wenn was passiert ist. Die Pandemie wird ein weiteres Mal als Argument dafür herhalten müssen.

Es bleibt zu hoffen, dass nicht erst ein weiteres dramatisches Ereignis aus dem gesellschaftspolitischen Dornröschenschlaf aufwachen lässt.

 

Werner Prinzjakowitsch, Pädagogischer Bereichsleiter
seit 2015 Experte des Radicalisation Awareness Network der Europäischen Kommission
und Mitglied des BNED (Bundesweites Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung)

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