Rückblick bringt Ausblick: Gendersensible und queere Online-Jugendarbeit während und nach dem Corona-Lockdown
Der plötzlich hereingebrochene Ausnahmezustand, in den uns Corona Anfang März – privat wie arbeitstechnisch – quasi katapultiert hat, erforderte gerade in Berufsfeldern wie der Jugendarbeit schnelle Anpassung und viel Flexibilität. Und wie so oft entsteht aus Situationen, in denen man sich vorerst vielleicht unfreiwillig wiederfindet, Neues. Ein Rückblick auf die Monate im Homeoffice, wo Online-Jugendarbeit unseren Arbeitsalltag prägte, lässt für 19KMH einen Ausblick zu, in dem wir für uns erweiterte Handlungsräume, ebenso wie ein geschärftes Bewusstsein für die Bedeutung gendersensibler und queerer Online-Jugendarbeit ausmachen können.
Natürlich ist es immer abhängig von Sozialräumen, von aktuellen Gegebenheiten, von den Strukturen der Einrichtungen: Dennoch wage ich hier die Verallgemeinerung, dass in der Offenen Jugendarbeit – und vor allem in der Mobilen Jugendarbeit – Mädchen* oftmals schwerer erreicht werden können und dass Jugendeinrichtungen in der Praxis für queere Jugendliche leider nicht immer so inklusiv sind, wie sie es in der Theorie gerne wären. Hier kommt Online-Jugendarbeit ins Spiel. Sie eröffnet in Bezug auf Jugendarbeit, die sich speziell an Mädchen* und queere Jugendliche richtet, ganz neue Möglichkeiten der Begegnung und des Austauschs.
Eher zufällig als zielgerichtet sind wir in unserer Praxis während des Lockdowns zu dieser Erkenntnis gekommen und haben dann Schlüsse für unsere Arbeit damals und jetzt gezogen. So können wir Mädchen*, denen wir im „analogen“ Leben – aus unterschiedlichen Gründen – selten im öffentlichen Raum begegnen und die kaum zu unseren Angeboten kommen, in virtuellen Räumen regelmäßig treffen. Ähnliches gilt für LGBTIQA+ Jugendliche, die nur zu ausgewählten Angeboten und vor allem zu Einzelgesprächen ins Büro kamen und kommen. Dass bei Kontakten in virtuellen Räumen der Weg zu uns wegfällt und wir flexibler für die genannten Zielgruppen erreichbar sind, ermöglicht es, regelmäßigeren und dadurch auch intensiveren Kontakt zueinander zu haben.
Durch die neue Bewertung der Chancen, die Online-Jugendarbeit mit sich bringt, um eine diversere und breitere Zielgruppe konstant zu erreichen, findet diese nun auch in unserem Arbeitsalltag nach dem Corona-Lockdown einen eigenen Platz und mehr Zeit.
Die verstärkte Präsenz auf Social Media hat auch dazu geführt, dass wir unsere Haltungen und Prinzipien eines respektvollen Miteinanders online sichtbar und greifbar machen wollen. So sind in Zusammenarbeit mit Kolleg_innen aus anderen Einrichtungen Shareables entstanden, die über Rassismus, Sexismus, Cyber-Mobbing, Homo- und Transphobie aufklären und die den Jugendlichen kurz und bündig zeigen, wo sie sich hinwenden können, wenn sie diskriminierenden Botschaften im Netz begegnen. Dadurch können Jugendliche zum einen für diese Themen sensibilisiert werden. Zum anderen zeigen wir als Jugendeinrichtungen auch in virtuellen Räumen, welche Haltungen und Aussagen nicht toleriert werden und welches Miteinander wir uns wünschen.
Wichtig war uns darüber hinaus, queeren Jugendlichen, für die der Lockdown unter Umständen besondere Herausforderungen brachte, beispielsweise in einem nicht bejahenden oder gar homophoben Zuhause, zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Dass an sie gedacht wird und dass es Jugendeinrichtungen und andere Stellen gibt, an die sie sich mit ihren Anliegen oder einfach nur zum Austausch und chatten wenden können. Auch hierfür wurden Shareables mit diversen Inhalten gestaltet, die vereinsweit geteilt wurden.
Corona und der Lockdown haben bei 19KMH dazu geführt, die Chancen zu ergreifen, die Online-Jugendarbeit in Bezug auf gendersensible und queere Jugendarbeit bietet. Wir sind sensibler geworden für die Bedeutung von Online-Räumen und die Möglichkeiten, diese virtuellen Räume inklusiv zu gestalten und für mehr Inklusion zu nutzen. So ist aus der Not eine Tugend entstanden und der Rückblick hat Ausblick für die weitere Praxis gebracht.
Susanna Sulig, 19KMH