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26. Juli 2022

Reden wir über Tabus!

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Tabus sind täglicher Teil unseres Lebens: Familiäre Tabus, solche unseres Umfelds oder gesellschaftliche Tabus. Demgegenüber steht die Zeit des Erwachsenwerdens, in der die Entwicklung, die Suche und das Experimentieren im Vordergrund stehen. Eine Zeit, in der Tabus in Frage gestellt und auch durchbrochen werden können.

Tabus sind dabei vielfältig. Ob das nun die Berufswahl ist, nach der seit Generationen festgelegt war, dass der Älteste das Geschäft des Vaters übernimmt, ob sexuelle Orientierung oder Fragen religiöser Einstellung und der daraus folgenden Handlungsoptionen. Tabus erfüllen verschiedenste psychische und/oder gesellschaftliche Funktionen. Geben tut es sie seit Beginn der menschlichen Kommunikation und, solange diese existiert, werden sie auch weiter bestehen.

Gerade in letzter Zeit erleben Tabus – nahezu paradox angesichts der ursprünglichen Intentionen – neue Blüte. Neue thematische und sprachliche Tabus werden ausgerufen, Diskurse und Meinungen, die als gutgemeintes Aufzeigen von Benachteiligungen gedacht sind, schlagen in eine andere Richtung aus, unterdrücken Tabus mitunter sogar bzw. erzeugen neue Einschränkungen und Regeln. Dabei gibt es noch nicht mal für viele alte Tabus einen Ort der reflektierten Auseinandersetzung.

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Es geht nicht um die generelle Abschaffung von Tabus, es geht um den Umgang damit. In einer Gesellschaft, in der Tabus nicht zumindest diskutiert werden können, übernehmen das andere Personen und Institutionen. Diese stellen sich vermeintlich den Themen, reflektieren sie aber nicht, sondern sind mit schnellen und einfachen Antworten und Lösungen zur Stelle. Es sind oft politisch-religiöse Eiferer, Verschwörungstheoretiker und andere Verführer. Alle sind offen für diejenigen, mit denen die Gesellschaft über ihre Themen nicht reden wollte, und haben auch schnell Lösungen und Schuldige bei der Hand. Doch am Ende steht dann meist ein noch engeres Korsett, voll mit neuen Tabus.

 

 

Die üblichen Instanzen primärer Sozialisation – etwa die Eltern von Jugendlichen – sind als erste Ansprechpartner_innen bei Tabuthemen wie der Sexualität oft nicht wirklich geeignet. Auch die Schule gerät schnell an ihre Grenzen, wenn es um mehr als „biologisch-technische“ Erklärungen geht, unabhängig vom Thema. Alles was über Vermittlung von Sachwissen und dem Versuch einer kognitiven Verarbeitung hinausgeht, übersteigt zeitliche, didaktische und vor allem emotionale Ressourcen. 

Die Auseinandersetzung mit Tabus ist heikel, insbesondere wenn diese in der Gruppe passiert oder wenn die eine Person (Elternteil, Lehrer_in usw.) in einem hierarchischen Verhältnis zu den Jugendlichen steht. Dem Alltagsleben entferntere Verwandte oder gute Freund_innen können diese Funktion übernehmen. Zu diesen kann es in vielen Punkten eine offenere Gesprächsbasis und vertrauliche Beziehung geben, weil das unmittelbare Verhältnis weniger von Abhängigkeit und Hierarchie geprägt ist. Es gibt aber auch Jugendliche, die niemanden haben, dem/r sie sich anvertrauen können, insbesondere wenn es um Themen geht, die in ihrem Umfeld mit Tabus behaftet sind.

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Hier kann die professionelle, offene Jugendarbeit einspringen. Vorausgesetzt, es besteht – wie z.B. in Wien – ein ausreichend großes Netzwerk an Einrichtungen und Angeboten, sodass zu möglichst vielen Jugendlichen von vornherein eine Basis an Bekanntheit und Vertrauen vorhanden ist.

Die Grundsätze der offenen Jugendarbeit sind eigentlich prädestiniert für Auseinandersetzung mit „heiklen“ Themen und Tabus. Es beginnt bei der Freiwilligkeit, denn Vertrauen kann nur auf dieser Basis aufgebaut werden – der große Unterschied zu den anderen Sozialisationsinstanzen wie Familie und Schule.

Fachliches Wissen und Wissen um die Lebenswelten Jugendlicher ist bei Jugendarbeitsprofis vorauszusetzen. Dabei geht es nicht darum, wer die cooleren Sprüche draufhat und was man nun gemeinsam für „cringe“ befindet, sondern um das offene Interesse an den Jugendlichen. Bei der Themenwahl gibt es keine Tabus, eigene Grenzen müssen klar formuliert werden. Es ist die Kunst der Jugendarbeit, offen zu sein, den Gesprächskanal freizuhalten, aber trotzdem auch mal zu widersprechen. Denn manchmal geht es dem Gegenüber auch um das Austesten von Grenzen als um reflektierten Diskurs zu einem Tabuthema.

Nichtsdestotrotz, offene Jugendarbeit heißt aus gutem Grund so, sie ist bereit sich offen mit allen Themen und Tabus auseinanderzusetzen. Darum hat sie eine wichtige und als Institution wohl einmalige Funktion, bevor manche Jugendliche bei falschen Verführern landen.

Werner Prinzjakowitsch, Verein Wiener Jugendzentren

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