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9. Jänner 2017

Von NEET zu SEED

Von der defizitorientierten hin zur konstruktiven Interpretation der Begrifflichkeit NEET

Bereits zu Beginn meiner Tätigkeit im Projekt spacelab war in unserem Team (Offene und Aufsuchende Jugendarbeit) der Unmut über das Akronym NEET Not in Education, Employment or Training stark zu spüren. Mit jenem Begriff werden im Allgemeinen negative Konnotationen verbunden, sei es das Wort Not, was bekanntlich auf Deutsch so viel wie Nicht bedeutet oder die Aussprache des gesamten Begriffes NEET [engl., ni:t], welcher mit dem deutschen Wort Niete stark assoziiert wird.

Andererseits wird durch diese Zuschreibung jene Zielgruppe, nämlich Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren, die nicht in einer Ausbildung sind, die nicht arbeiten und sich auch in keiner Kursmaßnahme oder keinem Training befinden, kurz gesagt, all jene die ohne Beschäftigung sind1, in eine passive Rolle gebracht. Die aktive und gestalterische Rolle, die jeder Mensch an sich in seinem Leben besitzt, wird ihnen abgesprochen.

Bewegt durch diese Emotionen und Gedanken und, um einen neuen Begriff zu finden, der mit positiven Zuschreibungen verbunden wird, setzte ich mich mit der Thematik auseinander und kam so auf den Begriff SEED. Als Apronym steht er für Searching for Education Employment and Development, übersetzt auf Deutsch bedeutet das Wort Samen.

Die Jugendlichen, die in dem Kontext metaphorisch als Samen bezeichnet werden, können nur dann aufblühen, wenn jene Rahmenbedingungen geschaffen werden, die für deren Wachstum notwendig sind. Der Begriff SEED unterscheidet sich dadurch vom Begriff NEET, als dass er der Zielgruppe eine aktive Rolle zuschreibt. In den Worten Searching for kommt der Mensch als Suchender zum Ausdruck, befreit von (oder geschützt vor) den Zuschreibungen einer passiven Rolle. Meiner Erfahrung nach machen sich Jugendliche und junge Erwachsene sehr intensiv Gedanken über ihr Leben und wollen ihre Lebenssituation verbessern. Jedoch fehlen ihnen oftmals die Möglichkeiten, um jene Schritte auch tatsächlich zu vollziehen. Die Verweigerung, in die Schule zu gehen oder zu arbeiten beziehungsweise ein Nichtstun-Wollen kann aus der Sicht eines in eine passive Rolle Gedrängten auch als eine Art von Unmut und Unzufriedenheit mit ihrer aktuellen Situation interpretiert werden – sei es in der Familie, in der Schule oder in der Arbeit. Dieser Unmut spiegelt gleichzeitig auch die gesellschaftlichen Herausforderungen wider. 

Die Frage lautet nun, ob wir uns diesen Herausforderungen und unseren Verantwortungen stellen wollen, anstatt diese auf die Jugendlichen zu übertragen.

Die wesentliche Voraussetzung für positive Veränderungen in der Gesellschaft ist ein neuer Zugang zu und ein neues Verständnis einer Beziehungskultur zwischen der älteren und der jüngeren Generation, die in erster Linie in der Erziehung, Bildung und Arbeitswelt – oder anders gesagt: einfach mitten im Leben – zum Ausdruck kommen soll. Education und Employment im SEED Konzept zeichnen sich durch die Loslösung vom defizitorientierten hin zum konstruktiven Denken und Handeln in sozialen Interaktionen aus. Das Ziel ist die Hervorbringung eines reflektierten und hinterfragenden Menschen in der Gesellschaft. Dabei wird sich die ältere Generation ihrer Verantwortung bewusst, da sie ja mehr Lebenserfahrung hat. Somit wird zwischen den Generationen eine Beziehung auf Augenhöhe geschaffen, in der mit Respekt, Liebe und Empathie alle Menschen gemeinsam wachsen und durch ein gelingendes Miteinander in ihrer Selbsterkenntnis gestärkt werden.

Development steht im Allgemeinen für die Persönlichkeitsentwicklung und verweist auf die Potentiale und Stärken der Zielgruppe selbst. Es geht in erster Linie darum, den Jugendlichen zu vermitteln, dass Selbsterkenntnis für die Selbstverwirklichung eine entscheidende Rolle spielt. Jede/r Einzelne ist MeisterIn ihres/seines eigenen Lebens und somit in der Lage, Strategien gegen Probleme zu finden, um mit Traurigkeit, Frust, Enttäuschung, Überforderung und Verlust umgehen zu können und um schließlich sich selbst zu finden und verwirklichen zu können.

Die Samen warten nur sehnsüchtig unter der Erde darauf, aus der Erde zu sprießen und uns mit neuem Wissen und Erkenntnissen zu nähren …

1 Wie auch Wikipedia zu entnehmen ist, können für Beschäftigungslosigkeit verschiedene Ursachen zugrunde liegen: „Dabei wird zwischen Ursachen auf der Makro-Ebene (der Gesellschaft des Landes, Schulsystem und generelle Arbeitsbedingungen), der Meso-Ebene (einzelne Schule, Firma, Ort) und der Mikro-Ebene (der einzelnen Person) unterschieden.“ http://de.wikipedia.org/wiki/NEET am 10.06.2015. Die Erörterung einzelner Ursachen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen und soll daher an dieser Stelle nur zum Denkanstoß dienen.

İbrahim Çelik, spacelab_umwelt (Offene und Aufsuchende Jugendarbeit)

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